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Für alle Exilfans

VERLAG RENATE BRANDES IN ALTENRIET
Veröffentlicht von Renate Brandes in Belletristik · Donnerstag 19 Mai 2022
Tags: SCFSCFreiburgDFBPokalFinaleFußball
Vor dem Pokalfinale zwischen RB Leipzig und dem SC Freiburg habe ich für Euch eine Geschichte von Martin Bartholme, Mitbegründer der Fan-Initiative @scf_ist_bunt. Eine echte Hommage an den SC Freiburg!

Die Zeiten haben sich geändert
Für alle Exilfans

Ich komme aus einer Kleinstadt am nord-östlichsten Rand Baden-Württembergs. Eine ländliche Gegend ohne großen Traditionsverein in näherer Umgebung. Hier, in „Badisch-Sibirien“, gibt es viele Bayern- und Stuttgartfans. Dazu einige Nürnberger, Frankfurter und in den letzten Jahren vermehrt auch Hoppenheimer.
Ich habe mein Herz früh an den Sportclub verloren. Meine Großeltern kamen aus Freiburg und wohnten in einem Haus in der Nähe des Dreisamstadions. Während meiner Kindheit waren wir alle vier bis sechs Wochen, meist über das Wochenende, zu Besuch in Südbaden. Ich fieberte diesen Kurzurlauben entgegen, denn neben der schönen Zeit mit meiner Oma und meinem Opa, bot sich für mich auch jedes Mal die Möglichkeit, die Spiele oder das Training der Profis zu besuchen. Hier konnte ich meinen Vorbildern nah sein und fühlte mich wohl unter den gleichgesinnten Kindern. Mitte der 90er Jahre waren auch beim SC viele Abläufe deutlich weniger professionell als heute. So fischten wir beispielsweise regelmäßig für die Profis die Bälle aus der Dreisam und freuten uns über die Autogramme auf unseren Klamotten.
Diese Erlebnisse saugte ich in mir auf, denn zu Hause war ich diesbezüglich wieder alleine auf weiter Flur. Während im Sportunterricht die meisten Jungs mit ihren Bayern-, Dortmund- und Stuttgart-Trikots aufliefen, wurde ich mit meinem Freiburg-Shirt krumm angeschaut.
„Warum bist du denn Fan von so einer Looser-Mannschaft?“, war eine der gängigsten Fragen. „Die steigen doch eh’ bald wieder ab.“
Meist antwortete ich trotzig: „Weil mein Opa aus Freiburg kommt.“ Manchmal auch: „Weil wir kaum Geld haben und trotzdem in der Bundesliga spielen.“
Nicht einfach für einen 9-jährigen Jungen. Es wurde ein wenig besser, als ich zufällig mitbekommen hatte, dass „wir“ eine Fanfreundschaft mit den Dortmundern hatten. Darauf konnte ich, zumindest bei meinen Erfolgs-BVB-Fans (davon gab es Mitte der 90er einige an unserer Schule) immer wieder verweisen - sie fanden dann meine SC-Leidenschaft zumindest in Ordnung. Den einzigen Vorteil über 300 Kilometer weit weg von seinem Lieblingsclub zu leben, hatte es beim Tauschen der Panini-Karten. Sobald die Glocke ertönte, dealten wir auf dem Pausenhof mit unseren Sammelkarten. Alle bezahlt von unserem hart ersparten Taschengeld. Während meine Klassenkameraden mit hohen Einsätzen (zwei Uerdinger und ein Rostocker) eine Karte von Andi Möller oder Mehmet Scholl ertauschten, bekam ich meine Freiburger oftmals im umgekehrten Tauschverhältnis. Harry Decheiver, Ralf Kohl und Alain Sutter für Thomas Helmer. Für mich ein gutes Geschäft.
Im Gegensatz zu meinen Freunden, die Fans von einem großen Club waren, hatte ich auch oft eine persönliche Geschichte zu den Spielern parat. „Von Alain Sutter habe ich schonmal einen Trainingsball geschenkt bekommen!“ Da schauten die Anderen dann meist doch etwas verdutzt.
Heute gibt es hier immer noch kaum Freiburgfans. Aber der Respekt gegenüber meinem Team hat sich deutlich gesteigert. Meine Stuttgarter und Nürnberger Freunde möchten derzeit überhaupt nicht mehr über Fußball sprechen, die Bayern- und Dortmundfans von früher interessieren sich heute eher für andere Dinge.
Wenn ich heute mit dem SC-Trikot durch meine Heimatstadt laufe, bekomme ich zu hören: „Ihr habt echt einen klasse Trainer.“ „Was ihr aus euren Möglichkeiten macht, ist phänomenal.“ „Ihr seid wenigstens ein Verein, bei dem es noch um Fußball geht.“ Die Zeiten haben sich geändert!



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